Vulva malen

Ich und die Kirche.

Ich bin protestantisch erzogen, nach säkularem Prinzip und calvinistischer Moral: christlich-abendländisch sozialisiert. Mit allen ethischen Momenten. Bei denen Gott und die Welt oft neben-, aber nicht gegeneinander stehen. Ich bekenne mich rückhaltlos zu dem Ethos.

Mit Eintritt ins Berufsleben trat ich aus der Kirche aus: ein behördlicher Vorgang. Mein Motiv ist der Rede wert. Ich habe es erst hinterher ausformuliert: als bürgerliches Demokratieverständnis im Gegensatz zum Gehorsamsprinzip gegen die Instanz Gott. Also rationalisiert statt begründet. Für Nicht-Pädagogen, „Rationalisieren“ bezeichnet in der Er­zie­hungs­wis­sen­schaft nachträgliche Verteidigung von kindlichem Fehlverhalten. Hier als Metapher. Denn mein Austritt folgte nicht aus einem Vernunftgrund, sondern aus einem Unwohlsein. Ich „fühlte“ den Konflikt, aber verstand ihn nicht: mangels Distanz zu mir selbst.

Nun ist allgemein bekannt, dass die Religion der Weg des Menschen war, sich die Welt anzueignen. Die Mo­no­the­is­ti­schen Weltreligionen sind Abkömmling der Naturreligionen. Tief im Menschen verwurzelt ist ein konkretes Bedürfnis, zu „glauben“. Der Atheismus musste ausdrücklich erfunden werden (und zwar hier in Europa, Eckdatum 1789). – Andererseits es war schon immer eine schlechte Idee, gegen die eigene menschliche Natur zu agieren.

Nach meinem Austritt also „fühlte“ ich zunehmende Ent­span­nung. Ich empfand das morgendliche „Wort in den Tag“ im damaligen SWF3 als weniger peinlich wegen Distanz zu mir. Zum Einen.

Zum Anderen tat sich in der Zwischenzeit dies: eine Heirat und zwo Kinder. (Unsere Ehe ist um, aber damals:) Sie katholisch, ich nicht; zur Überraschung eine katholische Trauung (öku­me­nisch, glaub ich); im geistlichen Vorgespräch hatte ich den Ewigkeitsanspruch des Sakraments „Ehe“ bestritten.

Als meine zwei ins Alter der Erstkommunion kamen, nahm ich Fehlendes wahr in mir. Mein Austritt war und ist ein Schritt ohne Umkehr: selbst aus Fehler folgt Erkenntnis. Und keineswegs im Sinn „Umkehr“, meine Damen und Herren: die damalige Entscheidung war relevant und richtig, sonst wäre sie nicht gefallen!

Ich stellte mich also innerlich gerade, Augen geradeaus, und: Ich stehe nicht für mich. Ich stehe für uns. (Und so ist es. Und so soll es sein.)

Genau das habe ich meinen vermittelt. Wie? Indem ich es „wusste“. Anders geht das nicht. Keins von den „kognitiven“ Elementen, sondern ein „erdiges, substantielles“, tief in uns drinnen. – Heute sind sie erwachsen und berufstätig.

Zurück zum Vulva malen, und ich bitte das geneigte Publikum für kurze Zeit um Ernsthaftigkeit, und wenn es sich machen lässt, das Grinsen einzustellen. Das Thema ist ernst. – Denn es führt zurück zu meinem Motiv des Kirchenaustritts. Oben habe ich gestanden, ich könnte es nicht vernunftmäßig, sondern nur gefühlsmäßig begründen. Kann ich es heute? In Angesicht des kirchlichen Kotau vor der Genderista? Die (vielleicht nicht und vielleicht doch) überraschende Antwort lautet: nein, ich kann es immer noch nicht.

Ihr Opportunismus ist evident, das steht außer Frage. Aber ist es Opportunismus der Kirche? Oder ihrer säkular eingebunden Organisation? Oder der von Margot Käßmann?

Mit der Frage, lieber Leser, lass ich dich allein. (Keiner hat dir versprochen, dass diese Welt eine einfache ist.)

Montag, den 24. Juni 2019, um 20 Uhr 21