40 Jahre Folterhaft

Kaum jemand kennt seinen Namen, unsere Medien berichten so gut wie nicht über ihn. Dabei ist der ehemalige CIA-Programmierer Joshua Schulte ein Märtyrer vom Schlage eines Edward Snowden oder Julian Assange.

Mehr siehe Norbert Häring

Von Lügnern, Betrügern und Dieben

Wenn es Sie nicht kümmert, dass Ihre Regierung (und vielleicht auch Sie da draußen an den Geräten) mit illegalen Programmen vom us-amerikanischen Geheimdienst überwacht werden oder Sie das sogar ganz richtig finden - immerhin wäre angesichts… pic.twitter.com/EIjOqX0j5w

— Martin Sonneborn (@MartinSonneborn) February 4, 2024

Von Lügnern, Betrügern und Dieben

Wenn es Sie nicht kümmert, dass Ihre Regierung (und vielleicht auch Sie da draußen an den Geräten) mit illegalen Programmen vom us-amerikanischen Geheimdienst überwacht werden oder Sie das sogar ganz richtig finden – immerhin wäre angesichts der manifesten Kriminalitätsquote in unseren Parlamenten deren (lückenlose) Überwachung ja tatsächlich einmal angebracht – dann brauchen Sie gar nicht erst weiterzulesen.

Vorgestern wurde Joshua Schulte, ein ehemaliger Mitarbeiter des Center for Cyber Intelligence (CCI), einer CIA-Abteilung für offensive Cyberoperationen, vom New Yorker Federal Court zu 40 Jahren Haft verurteilt. Schulte soll 2 Milliarden Seiten „streng geheimer“ CIA-Daten, die bezeichnenderweise mit so eindrucksvollen Codenamen wie „Brutal Kangaroo“, „AngerQuake“ oder „McNugget“ versehen waren, 2016 entwendet und ein Jahr später an WikiLeaks weitergegeben haben. Durch dieses (von WikiLeaks) als „Vault 7“ bezeichnete Leak wurde der Öffentlichkeit bekannt, dass die CIA auch im digitalen Zeitalter zu einer Praxis in der Lage ist, die man ihr sowieso schon zugetraut hatte: haarsträubende Hackingoperationen und weltweite Spionage.

Bei den in Frage stehenden Programmen handelt es sich um eine Reihe maßgeschneiderter Techniken, mit denen die CIA nicht nur Wifi-Netzwerke und Webbrowser kompromittieren, Skype hacken, Antivirensoftware oder Verschlüsselungen von Messenger-Diensten überwinden und digitale Enderäte (Apple & Android) in Abhörwanzen umwandeln kann. Auch auf „intelligente“ Fernsehgeräte, semiintelligente Haushaltsgeräte und total dümmliche Kühl-, Heiz-, Mix-, Fön-, Licht-, Blas- und Sauggeräte (Heinzelmann) versteht sie sich Zugriff zu verschaffen. Sogar auf die Lenksysteme (hupps!) moderner Automobile.

Vault 7 machte die CIA nicht nur als weltweit größten Lieferanten ekliger Schadsoftware (Viren!) sichtbar, sondern zeigte auch ihre Fähigkeiten zur Fälschung digitaler „Beweise“, mit denen die CIA eigene (böswillige) Hacking-Operationen problemlos einem ihrer „Gegner“ in die Schuhe schieben kann (sog. „schwarze Propaganda“ ). Man darf getrost davon ausgehen, dass alles, was die US-Regierung anderen Staaten mit Bezug auf Cyberangriffe jemals vorgeworfen hat, weit umfassender von ihrer eigenen Behörde durchgeführt worden ist.

Zur Veröffentlichung von Vault 7 schrieb WikiLeaks: „In einer Erklärung erläutert die Quelle politische Fragen, die ihrer Meinung nach dringend in der Öffentlichkeit diskutiert werden müssen, darunter die Frage, ob die Hacking-Fähigkeiten der CIA über die ihr übertragenen Befugnisse hinausgehen, und das Problem der öffentlichen Kontrolle dieser Behörde. Die Quelle möchte eine öffentliche Debatte über die Sicherheit, die Schaffung, den Einsatz, die Verbreitung und die demokratische Kontrolle von Cyberwaffen anstoßen.“

Das langwierige Verfahren gegen Joshua Schulte hat einen verschlungenen Verlauf genommen und enthält – wie andere von der CIA zur Kriminalisierung von Whistleblowern und Journalisten geführte Gerichtsvorstellungen auch – eine Reihe fragwürdiger Details und fadenscheiniger Argumentationen, die wir hier weder nachzeichnen noch jemandem zur Nachtlektüre empfehlen wollen: es erschütterte das Vertrauen in das Rechtssystem zu sehr. Nur soviel: Während die CIA ihr peinlichstes Datenleck um keinen Preis ungesühnt lassen möchte, beteuert Schulte seine Unschuld. Die Zweifel an den ihm zugeschriebenen Straftaten waren objektiv so groß, dass die Geschworenen sich 2020 noch nicht einmal auf die vorgesehenen Anklagepunkte einigen konnten, was das erste von der CIA zusammengeschusterte Verfahren 2020 gar in seiner Gänze platzen ließ ( „Fehlprozess“ ).

An dieser Stelle muss man sich rasch Erinnerung rufen, wer oder was die CIA eigentlich ist. Obwohl dieser ursprünglich nur für Informationsbeschaffung, Analyse und Prognose zuständige Dienst – der älteste von 17 US-Geheimdienstbrüdern – juristisch keineswegs über geltendem Gesetz steht, ist er in den Jahrzehnten seines Bestehens vor allem durch eigenmächtiges und rechtswidriges Verhalten aufgefallen: illegale Datensammlungen (z. B. hunderttausender Privatdaten von US-Bürgern), illegale Verhörmethoden (z. B. Waterboarding), illegale Operationen auf fremdem Staatsgebiet einschließlich illegaler Umsturzversuche und illegaler Umstürze (zuletzt vermutlich Pakistan, Platz reicht nicht aus, bitte googlen), illegale Mordversuche und Morde (z. B. 1961 an Patrice Lumumba), illegale Folter (z. B. in Guantanamo und Abu Ghraib), illegale Forschungsprogramme (z. B. MK-ULTRA zur Bewusstseinsmanipulation und -kontrolle), illegale Experimente (z. B. mit Chemikalien, Drogen, LSD, Meskalin, Angel Dust) an ahnungslosen Krankenhauspatienten und (schwarzen) Gefängnisinsassen und die illegale Zusammenarbeit mit absolut illegalen Terrornetzwerken (z. B. Al-Quaida).

Falls Sie da draußen finden, dass eine derart sympathische Organisation das Recht haben sollte, sich weiterhin ungestraft über alles hinwegzusetzen, was ihr im Weg steht, dann ist ja alles gut. Und wenn Sie der Meinung sind, dass es einer ausländischen Regierungsorganisation mit überreichem Strafregister natürlich frei-, offen- oder zusteht, jede fiese Verbrecherregierung auf der ganzen Welt (außer ihrer eigenen) systematisch mit verbotenen Mitteln auszuspähen, dann dürfen Sie ganz unbesorgt sein. Wenn Sie schließlich auch noch denken, dass rezidivierende Rechtsbrecher ein Recht darauf haben sollten, ihre gesammelten Rechtsbrüche unter Aushebelung jeder öffentlichen Kontrolle im Geheimen ihrer vordemokratischen Dunkelkammern zu begehen, dann können wir Ihnen hier nicht helfen.

WikiLeaks, Assange (und wir) sind im Vergleich zur CIA natürlich hoffnungslos von vorgestern. Wir hängen nämlich dieser ganz schön altmodischen Demokratievorstellung an, derzufolge SIE DA DRAUSSEN ein Recht darauf haben zu erfahren, was die von Ihnen in Macht gesetzten Regierungen (mitsamt ihrem unübersichtlichen Sekundärapparat aus Unterorganisationen und Diensten) in Ihrem Namen den lieben langen Tag so tun – vor allem, wenn ihre Praxis möglicherweise rechtswidrig ist. Von vorvorgestern ist auch diese (von neuerdings sogar als „demokratiegefährdend“ geltende) Idee, dass Regierungen ihren Bürgern gegenüber noch immer in vollem Umfang rechenschaftspflichtig sind, und es ihnen daher keinesfalls zusteht, ihre eigenen Straftaten oder die ihrer Behörden vor der Öffentlichkeit zu verbergen.

Mike Pompeo: „Ich war der Direktor der CIA. Wir haben gelogen, wir haben betrogen, wir haben gestohlen. Wir hatten dafür ganze Trainingskurse.“

Vault 7, dieses größte (und wirklich auch peinlichste) Datenleck in ihrer gesamten Geschichte veranlasste die CIA und ihren damaligen Chefpimmel Mike „Fatty“ Pompeo jedenfalls zur brutalistischen Ausrufung eines „all-out war“ – nicht gegen Kriminelle oder Rechtsbrecher, versteht sich, sondern gegen WikiLeaks & Julian Assange, die das geleakte Material (ehrverletzenderweise) veröffentlicht hatten. Es nimmt nicht wunder, dass dieser von notorischen Straftätern einer kriminellen Behörde ausgeheckte „totale Krieg“ gegen WikiLeaks, eine für die Wiederherstellung des bürgerlich-demokratischen Informationsrechts und umfassende institutionelle Transparenz eintretende Plattform, schnurstracks in eine weitere Straftat mündete: die minutiöse Planung (illegal) der Entführung (sowieso) und Ermordung (irgendwie auch) von Julian Assange, der sich zu dieser Zeit als politischer Flüchtling in der ecuadorianischen Botschaft in London aufhielt. Anklage gegen Assange wurde von der US-Regierung übrigens erst dann erhoben, als der CIA-Plan zur außergerichtlichen Regelung dieses Problems gescheitert war.

Seine sechseinhalbjährige Untersuchungshaft (seit Oktober 2018) hat Joshua Schulte im Metropolitan Correctional Center (MCC) der Stadt New York verbracht. Unter Haftbedingungen, die für zivilisierte Gesellschaften eigentlich undenkbar sind, sogenannte SAMs – Sonderverwaltungsmaßnahmen, die eine vollständige Isolation und sensorische Deprivation des Insassen anstreben. Durchgehende Einzelhaft in einer Betonbox von der Größe eines PKW-Stellplatzes (Nicht SUV. Kleinwagen.) mit absichtlich verbarrikadiertem Fenster. Aktenkundig ist die Beschreibung seiner Anwälte vor Gericht: „Die Käfige sind schmutzig und mit Nagetieren, Nagetierkot, Kakerlaken und Schimmel befallen; es gibt keine Heizung oder Klimaanlage in den Käfigen, keine funktionierenden Sanitäranlagen, das Licht brennt 24 Stunden am Tag, und den Insassen werden normale Besuche, der Zugang zu Büchern und juristischem Material, medizinische und zahnmedizinische Versorgung verweigert.“ Zweimal pro Woche darf der Gefangene duschen (Warmwasser nur auf dem Rechtsweg). Er darf nicht fernsehen, nicht Radio hören und nicht mit der Außenwelt kommunizieren, kein Telefon, keine E-Mail, keine Rauchzeichen. Besuch ist nur von Anwälten erlaubt. Im Besprechungsraum ist er an eine Ösenschraube im Boden gekettet, was ironischerweise exakt der Praxis entspricht, die die CIA bei Verhören von Al-Qaida-Gefangenen angewandt hat. Da er während der Anwaltsbesuche nicht auf die Toilette gehen darf, ist er gezwungen, etwaige Geschäfte in eine Plastiktüte zu verrichten, die ein Wärter ihm zu Beginn der Sitzungen aushändigt. Vor Gericht muss er Fesseln um die Knöchel und Ketten um die Taille tragen, an denen seine Hände, ihrerseits in einer separat verschlossenen Stahlbox eingeschlossen, in Handschellen befestigt sind. „Wie schützt es die nationale Sicherheit, wenn er jahrelang den Himmel nicht sehen darf? Schützt es die nationale Sicherheit, wenn man ihm nicht erlaubt, einen Arzt aufzusuchen? Schützt es die nationale Sicherheit, ihm das Lesen zu verbieten? Das tut es nicht. Es beweist nur, dass die Vereinigten Staaten keinen Respekt vor den Menschenrechten oder der Rechtsstaatlichkeit haben“, schreibt John Kiriakou, der seines Zeichens ehemaliger CIA-Analyst, leitender Ermittler des Senatsausschusses für auswärtige Beziehungen und Berater für Terrorismusbekämpfung ist.

Nun also 40 weitere Jahre Haft. Schuldig in 13 Anklagepunkten, hauptsächlich nach dem Espionage Act von 1917, der unter historischen Ausnahmebedingungen geschaffen und seither unverändert in Kraft geblieben ist, obwohl der 1. Weltkrieg, wenn wir uns nicht verrechnet haben, schon seit 107 Jahren beendet ist. Ob man es tatsächlich für „Spionage“ halten kann, wenn Material, das eine kriminelle Regierungsorganisation unter Mißachtung der demokratischen Rechenschaftspflichten geheimhält, gar nicht einem fremden Staat oder Geheimdienst, sondern schlicht dem Demos zur Verfügung gestellt wird, jener aus mündigen Bürgern bestehenden Öffentlichkeit also, ohne die jener Geheimdienst auch nicht den Funken irgendeiner Legitimität besäße, darüber könnte man trefflich streiten.

Dasselbe gilt natürlich für die ebenfalls auf den Espionage Act von 1917 gestützte US-Anklage im Fall Assange. Auf die Frage, was der Unterschied zwischen ihm und Mark Zuckerberg sei, antwortete Assange einmal: „Ich gebe private Informationen über Organisationen umsonst an Sie weiter und bin ein Schurke. Zuckerberg gibt Ihre privaten Informationen für Geld an Organisationen und ist Mann des Jahres.“ In Gedanken erweitern wir dieses zutreffende Bonmot um die Parameter „kriminelles Regierungsverhalten“ und „Kriegsverbrechen“ – und überlassen es Ihnen, ob es auch nur den geringsten Anschein von Plausibilität hat, dass ein australischer Publizist durch die Weitergabe von wahrheitsgemäßer Information an Sie da draußen der „Spionage“ schuldig geworden sein soll. ( „Spion des Jahres“ 2010 – 2019)

Am 20. und 21. Februar wird eine zweitägige Anhörung zum von Assange angestrengten Rechtsmittelverfahren am Londoner High Court stattfinden – demselben Gerichtshof, an dem derselbe Haufen gepuderter Perücken noch einmal dasselbe grenzwertige Rechtsverständnis an den Tag legen wird wie beim letzten Mal (vgl. unsere Assange-Broschüre auf meiner Homepage). Sollte sein Antrag auf Bewilligung eines eigenen Berufungsverfahrens keinen Erfolg haben, sind Assanges Möglichkeiten innerhalb des britischen Rechtssystems erschöpft. Er würde dann umgehend an die Vereinigten Staaten ausgeliefert, wo ihm nach sieben Jahren Isolation in der ecuadorianischen Botschaft und fünf Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Hellmarsh weitere 175 Jahre Haft drohen – einschließlich „schwerer Menschenrechtsverletzungen u. a. durch Haftbedingungen, die Folter und Misshandlung gleichkommen“ (Amnesty International).

Amnesty (und einer unzähligen Reihe weiterer Organisationen) zufolge dürfe die Veröffentlichung geleakter Dokumente auf WikiLeaks nicht bestraft werden, da dies „ein übliches Vorgehen des investigativen Journalismus ist. Eine Anklage gegen Julian Assange könnte andere Journalisten und Publizisten davon abhalten, ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrzunehmen.“

Hüstel. Wenn das infolge des an Assange nun wahrlich hinreichend statuierten Exempels nicht sowieso schon geschehen sein sollte, dann möge uns doch bitte umgehend ein Pferd treten.

Vorsorgliches P. S.: Wir halten es für völlig abwegig, dass es zu den von Pompeo erwähnten Trainingskursen für dienstliche Lügner, Betrüger und Diebe gehören könnte, neben die standardmäßig wegen Spionage erhobenen Anklagepunkte noch ein paar weitere wegen irgendeines plakativen Schweinkrams zu stellen. Das ist in jedem der zahlreich dokumentierten Fälle gegen von der CIA detektierte „Feinde“ nämlich immer nur purer Zufall (gewesen). Die Details der Anklage zum (angeblich tatsächlichen) Besitz von photographischem Zeug ab 18, das auf einem von Schulte bei der CIA zurückgelassenen Computer aufgetaucht sein soll, kümmern uns nicht die Bohne. Sie mögen wahr sein oder – analog zur Assange über Jahre fälschlicherweise nachgesagten Vergewaltigung – eben einfach auch nicht. Es hätte weder für die hier verhandelte Frage noch für unsere Bewertung des von Schulte (angeblich tatsächlich) durchgeführten CIA-Leaks auch nur die geringste Bedeutung.

P. P. S.: Wenn von geheimen Diensten die Rede ist, dann geht es um eine Grundsatzfrage, die auch von den Gesellschaften Europas wird beantwortet werden müssen: mit welchen Rechten, welchen Freiheiten und welcher Machtfülle wollen wir unsere Geheimdienste eigentlich ausgestattet wissen? Und vor allem: welcher Ziele wollen wir sie sich mit welchen Mitteln zuwenden sehen? Sicher nicht denen, die den deutschen Grünen vorschweben, die kürzlich erneut eine „europäische Nachrichtendienstagentur“ zur Bekämpfung von „Terrorismus“ und „Desinformation“ gefordert haben. Dieselbe „Desinformation“, für die im hierfür maßgeblichen DSA noch nicht einmal ansatzweise eine Definition oder Spezifizierung vorgelegt wird und die den inkriminierten Terminus daher auf jeden nur denkbaren Inhalt (Guten Morgen!) willkürlich anwendbar macht. Ob wir inmitten der sich EU-weit auf verschiedenen Ebenen anbahnenden Ermöglichung von Massenüberwachung tatsächlich noch eine eigene EU-Spionageagentur brauchen, die sich der regierungsseitig betriebenen Desinformationshysterie anschließt, das möchten wir doch stark bezweifeln. Staatliche Einmischung in die öffentliche Meinungsbildung – oder gar der Versuch ihrer Steuerung – ist kein Mittel einer „wehrhaften“ Demokratie, sondern eine zutiefst antidemokratische Praxis.

Wir fahren dann mal nach London, zum Assange-Prozess am 20./21. Februar. Und desinformieren Sie umfassend von dort aus.

(Via apolut)

6.2.2024