Die Wurzeln des Sozialismus
Die Frage, wo genau eine Idee beginnt, ist recht schwer zu klären. Man kann als Anfangspunkt entweder denjenigen wählen, wo die ersten entsprechenden Ansätze aufkommen oder eben wo das erste mal alle solchen zusammenkommen und einen entsprechenden Rahmen bilden. Wie dem auch sei, hier wollen wir einen groben Überblick über die Vorgeschichte des Sozialismus geben. Dies soll vor allem bezwecken, dass Ihnen, werter Leser, deutlich wird, woher die einzelnen Säulen stammen. Damit sei nicht gesagt, dass jeder sozialistische Denker seine Inspiration aus den entsprechenden Quellen bezog. Eher soll damit ausgedrückt werden, dass die entsprechenden Ideen schon recht alt sind und der eigentlichen Idee des Sozialismus weit voraus gehen. Und vielleicht machen die folgenden groben Ausführungen ja den einen oder anderen neugierig und treiben dazu an, sich intensiver mit der Historie auseinanderzusetzen.
Ein gutes Beispiel für eine Vorform sozialistischer Strukturen ist das antike Ägypten zur Ptolemäerzeit, also nach der Besetzung durch Alexander den Großen und während der Herrschaft seiner Erben. Ja, Sie lesen richtig, wir reden vom antiken Ägypten noch vor der letztlichen Machtübernahme durch die Römer. Was finden wir dort vor? Ein zentralistisch regiertes Reich, in dem es kein Privateigentum an Land gibt und stattdessen die Landarbeiter durch Beamte zur Bewirtung der Felder eingeteilt und die Früchte der Arbeit vom Staat eingesammelt und verteilt werden. Weiterhin wurde auch das Kanalsystem zentral geplant.
Natürlich haben wir keinen Egalitarismus und auch weitere Säulen nicht umgesetzt. Aber wir sehen, dass bestimmte Ideen schon sehr alt sind. Etwa war auch das Inkareich, bevor es schließlich zerfiel und die Europäer den Kontinent eroberten, eines in dem es kein Geld gab. Oder die alten Germanen, die gemeinschaftlich Land besaßen und bewirtschafteten. Aber wie gesagt, ist es ein Thema für sich, die einzelnen Denker mit den entsprechenden, teils in die Antike zurückgehenden Vorbildern in Verbindung zu bringen und dieser Beitrag wird schon so ausführlich genug. An sich kann man für ziemlich alle Säulen bereits die Wurzeln in der sehr alten Geschichte ausmachen, wenn auch oft mit einer anderen Ausprägung und nicht in der zuvor genannten Kombination. Etwa kann man die Kindererziehung in Sparta als Vorbild für ein gesellschaftliches System mit einer anderen Art von Familienbild herbeiziehen, antike Ansätze zur Religionsskepsis nennen usw.
Interessant wird es aber vor allem bei der Frage, woher die Idee der Utopie einer besseren Welt stammt. Wir haben diese nicht umsonst als erste Säule aufgeführt. Das Anstreben eines Zustandes, der nicht ist, aber in der Vorstellung sein soll und zudem nicht nur eine bessere, sondern gleich eine ideale Welt darstellt, ist ein zentrales Motiv und lässt sich durchweg in der Idee des Sozialismus finden. Aber woher kommt diese Vorstellung, man wolle eine perfekte Welt aufbauen in der die Menschheit im Paradies auf Erden leben kann?
Man sagt: einen guten Marxisten verlässt der liebe Gott nie. Wer jetzt den Witz nicht verstanden hat, dem sei dazu gesagt, dass Marxismus Atheismus beinhaltet. Warum ich dies an dieser Stelle erwähne? Weil die Wurzel des kommunistischen beziehungsweise sozialistischen Utopiedenkens in der Bibel liegt. Wie genau man dies zurückverfolgen kann, werden wir im nächsten Abschnitt sehen. An dieser Stelle soll nur einmal aufgezeigt werden, wo etwa in der Bibel ein Keim für sozialistische Ideen liegt, deren genaue Ausgestaltung wir dann vor allem in unseren Betrachtungen zum siebzehnten Jahrhundert sehen werden.
Zunächst einmal scheint es vielleicht merkwürdig zu behaupten, dass der Sozialismus aus der Bibel schöpft. Zumindest wenn man sich noch nicht weiter mit den Verbindungen beschäftigt hat und bisher den Marxismus als einzige Quelle betrachtete. Zieht man aber etwa das Buch der Offenbarungen heran, so kann man dort interessante Passagen finden. Nehmen wir etwa Kapitel 20 Vers eins bis sechs, so finden wir die folgenden Aussagen:
Und ich sah einen Engel vom Himmel herabfahren, der hatte den Schlüssel zum Abgrund und eine große Kette in seiner Hand. Und er ergriff den Drachen, die alte Schlange, das ist der Teufel und der Satan, und fesselte ihn für tausend Jahre und warf ihn in den Abgrund und verschloss ihn und setzte ein Siegel oben darauf, damit er die Völker nicht mehr verführen sollte, bis vollendet würden die tausend Jahre. Danach muss er losgelassen werden eine kleine Zeit. Und ich sah Throne und sie setzten sich darauf, und ihnen wurde das Gericht übergeben. Und ich sah die Seelen derer, die enthauptet waren um des Zeugnisses für Jesus und um des Wortes Gottes willen und die nicht angebetet hatten das Tier und sein Bild und die sein Zeichen nicht angenommen hatten an ihre Stirn und auf ihre Hand; diese wurden lebendig und regierten mit Christus tausend Jahre. Die andern Toten aber wurden nicht lebendig, bis die tausend Jahre vollendet wurden. Dies ist die erste Auferstehung. Selig ist der und heilig, der teilhat an der ersten Auferstehung. Über diese hat der zweite Tod keine Macht; sondern sie werden Priester Gottes und Christi sein und mit ihm regieren tausend Jahre.
Kurz zusammengefasst: der Teufel ist eingesperrt, damit sind dann auch Sünde und Verführung kein Thema mehr. Es herrscht eine Zeit der Seligkeit auf Erden und das 1000 Jahre lang. Die zuvor zitierte Passage wird deshalb auch gerne mit dem Titel „Das tausendjährige Reich“ überschrieben. Wo haben wir denn sowas schonmal gehört? Naja, darauf wollen wir später zu sprechen kommen.
Das soll es dann auch fast mit der Vorgeschichte gewesen sein. Ziel und Anspruch war es hier selbstverständlich nicht, jeden Gedanken eines Sozialisten auf ein entsprechendes historisches Vorbild zurückzuführen. Damit könnte man ganze Bücher füllen. Sie, werter Leser, sollten nun aber eine Vorstellung davon haben, dass die Ansätze bereits sehr alt sind und dass Sozialismus nur dann wirklich als solcher gelten kann, wenn wirklich alle entsprechenden Säulen zusammenfinden. Alleine eine staatliche Kindererziehung oder das Nichtvorhandensein privaten Grundeigentums reichen dafür nicht aus.
Nun wollen wir ein paar hundert Jahre von der Entstehung der Bibel und des Christentums in die Zukunft springen, nämlich in das Jahr 1516. Und nein, es ist kein Zufall, dass wir uns nur ein Jahr vor dem historischen Moment befinden, in dem Luther seine 95 Thesen an die Kirchentür in Wittenberg schlug und kurz darauf die Bauernkriege ausbrachen, in denen Forderungen von Freiheit und Gleichheit gestellt wurden. Denn wir befinden uns in einer Zeit des aufstrebenden Umbruchs und der Veränderung. Jedoch soll unser Augenmerk nicht Luther gelten, sondern einem seiner erbitterten Gegner, dem katholischen Heiligen und Märtyrer Thomas Morus. Dieser veröffentlichte im Jahre 1516 sein zumindest vom Titel her weitestgehend bekanntes Werk Utopia, dessen voller Titel zu Deutsch etwa „Vom besten Zustand der Republik und der neuen Insel Utopia“ lautet.
Was hat es damit auf sich? Nun, man muss es nicht wirklich in die Reihe der sozialistischen Werke einordnen. Aber zu diesem „nicht wirklich“ kommen wir zum Abschluss der Betrachtungen zu Morus, wir wollen erst einmal klären, in wie fern dieses Werk für uns hier von Interesse ist.
Der Titel alleine sollte schon Aufschluss geben, da wir die Utopie als eine der Säulen des Sozialismus beschrieben. Ja, dieses Buch begründete ein ganzes Genre und gewissermaßen dann natürlich auch das der dystopischen Romane, die wir ebenfalls später noch angehen werden. Nun, wenn man das Werk liest, dann findet man auch viele andere der genannten Apekte wieder. Etwa das Aufheben des Privateigentums, Gleichheit und Sklaverei. Morus lässt uns im Roman von einem Seemann, der behauptet Utopia kennen gelernt zu haben, von diesem Land erzählen, das auf einer fernen Insel liegt. Dort muss ein jeder Bürger, Mann wie Frau, eine Zeit lang in der Landwirtschaft arbeiten, wenn sie erwachsen werden, und das ohne Ausnahme. Weiterhin wird dem Einwohner seine Arbeit von Staatsbeamten zugeteilt, die auch sonst das gesamte Leben der Menschen auf Utopia kontrollieren. Hier gibt es kein Privateigentum und auch kein Geld.
Nun stellt sich natürlich die Frage: Wenn niemand für seine Arbeit bezahlt wird, niemand das Recht hat, seine Arbeit frei zu wählen und man diejenige Arbeit, die einem zugewiesen wird, ausführen muss, ist das dann nicht Sklaverei? Und die Antwort darauf lautet: im Falle von Utopia ist dies sogar ganz offen so und wird auch als solche beschrieben. Wir werden später sehen, dass andere sozialistische Ideen dieselbe Denkfigur aufweisen, wenn auch nicht unbedingt offen sagen, dass die Folge daraus die Versklavung des Einzelnen ist.
Ein Utopier, der sich weigert die ihm zugewiesene Arbeiter durchzuführen, der wird schlicht und ergreifend gezwungen und notfalls in die tatsächliche Sklaverei überführt. Uns wird berichtet, dass die Utopier alle niedersten Arbeiten von Sklaven durchführen lassen. Diese sind dabei entweder aus dem Ausland gekauft oder eben eigene Bürger, die sich eines Vergehens schuldig gemacht haben.
Und wieder wollen wir eine Frage stellen: Wenn man mir zum einen eine bestimmte Tätigkeit aufzwingt, für die ich nicht bezahlt werde, ich aber zum anderen diese nicht verweigern darf, ohne in die Sklaverei geschickt zu werden, in der ich dann etwa im Steinbruch oder den Minen schuften muss, bin ich dann nicht bereits ein Sklave des Staates oder der Gesellschaft, nur eben mit einem erhöhten Status? Es ist ja nicht so, dass alle Sklaven immer und in jedem Land bloß die körperlich anstrengendsten Arbeiten übernommen haben. Es gab durchaus, etwa bei den Römern, sehr gebildete Sklaven, die Verwaltungsaufgaben übernommen haben oder andere die als Aufseher für andere Sklaven fungierten. Allerdings waren diese immer im Besitz von anderen Menschen.
Hier auf Utopia finden wir den Fall vor, dass es niemanden gibt, der die Einwohner besitzt. Stattdessen sind es die Gemeinschaft aller und die Gesetze des Landes, die die Menschen in einem Zustand der Sklaverei halten. Denn unabhängig von der Position, die jemand einnimmt, kann er, sollte er seine Aufgabe nicht erfüllen, die Strafe der Sklaverei erleiden. Aber, und das wollen wir hier nicht vergessen, wenigstens sind alle gleich. Es herrscht Egalitarismus auf Utopia und man kennt dort nicht einmal mehr Anwälte. Ist das nicht schon einmal was?
Genug der sarkastischen Fragen. Wir können an dieser Stelle folgendes sehen: die geistigen Strömungen des Sozialismus mit ihren Tendenzen spielen schon zur Zeit des Thomas Morus eine Rolle. Wie wir in diesem Abschnitt festgestellt haben, reichen die Wurzeln dieser Idee bis tief unter die Erde und haben sich im Laufe der Zeit immer weiter entwickelt, bis wir dann schließlich zu dem kommen können, was man dann als tatsächlich sozialistische Ansätze betrachten kann.
Um nun aber dem geschätzten Herrn Morus kein Unrecht zu tun, wollen wir natürlich noch die Frage stellen, wie ernst es ihm mit seinem Werk war. Nun, sehr ernst, aber gemeint ist hier, was genau er denn damit ausdrücken wollte. Man kann zum einen Utopia als eine träumerische Vorstellung eines Ideals betrachten, worauf auch der Name schon hinweist, der so viel wie „Nicht-Ort“ bedeutet. Man kann den Roman nun auf verschiedenste Weise verstehen und dafür auch gute Gründe vorbringen, wie mir selbst bei verschiedenen Diskussionen klar geworden ist, weshalb ich Ihnen, werter Leser, die Eigenlektüre sehr ans Herz legen möchte. Zu erwähnen sei hier jedoch lediglich, dass man sehr wohl „Utopia“ auch bereits als eine Kritik an sozialistischen Ideen lesen kann, nämlich wenn man es als ein satirisches Werk versteht. Dafür gibt es viele Indizien, die hier nicht weiter aufgeführt sein sollen. Vielleicht nur, dass Morus selbst im Buch auftritt und die Erzählungen des Seemanns kritisch hinterfragt und dass seine eigene Biographie als katholischer Märtyrer, Anwalt und in höchsten Ämtern dienender Angestellter des englischen Königs dies nahe legt. Nun aber endlich zu richtigen sozialistischen Autoren.
25.4.2022
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