Abschließende Betrachtung zu den Säulen

Nachdem wir nun für den Rahmen eines solchen Beitrages sehr ausführlich auf die Geschichte des Sozialismus eingegangen sind, wollen wir nun noch einmal auf die Frage zurückkommen, was Sozialismus eigentlich ist. Natürlich hätte man noch dutzende weitere Denker erwähnen oder die vorliegenden eingehender betrachten können. Über Marx wurden unzählige Bücher und werden auch heute noch wissenschaftliche Arbeiten geschrieben und auch viele weitere Sozialisten oder deren Ideengeber bieten ein entsprechendes Potential. Aber wir sind ja nicht hier um das Ganze mit einem akademischen Grad abzuschließen, sondern um den Sozialismus als Idee grundlegend zu verstehen und auch entsprechend zu erkennen, wann wir es mit einem Denken zu tun haben, das in seine Richtung geht oder von ihm beeinflusst wird.

Was also ist nun Sozialismus? Eine der Definitionen, die wir zu Beginn beispielhaft aufführten, lautete wie folgt:

Sozialismus ist eine ‚politische Richtung [oder] Bewegung, die den gesellschaftlichen Besitz der Produktionsmittel und die Kontrolle der Warenproduktion und -verteilung verficht.‘

Nach den vorangegangen Betrachtungen ist dies jedoch äußerst unbefriedigend. Es fehlt eine Menge. Das alleine kann doch nicht Sozialismus sein. Also definieren wir ihn folgendermaßen:

Sozialismus verfolgt das Ziel, eine neue Art von Gesellschaft aufzubauen, in der die Menschen gemeinschaftlich miteinander wirtschaften und vor allem materielle Gleichstellung genießen. Dafür müssen althergebrachte Institutionen, wie das Recht auf Eigentum, die Familie und die Religion stark aufgeweicht, aufgelöst oder völlig verändert werden. Da das Ziel die Schaffung eines Paradieses auf Erden ist, versucht der Sozialismus einen Zustand zu erschaffen, in dem jegliche Entwicklung so weit wie möglich verlangsamt oder besser völlig ausgesetzt wird. Die Folge ist die vollständige Untergebenheit und Abhängigkeit des Einzelnen unter die Gemeinschaft.

Wesentlich umfangreicher, aber wenigstens sind alle Säulen enthalten. Und: man ist in der Lage aus dieser Definition abzuleiten worum es dem Sozialismus im Grunde geht. Eine neue, paradiesische Gesellschaft, in der Gleichheit herrscht. Wunderbar. Dann gehen wir diese Säulen jetzt noch einmal durch und haben damit hoffentlich hinreichend die acht Säulen begründet und verständlich gemacht.

1. Utopie

Dass Sozialismus utopisch ist, sollte nun klar sein. Wir wollen ja nicht durch leichte Reformen versuchen das System anzupassen, wie etwa ein liberaler versuchen könnte das Steuerrecht zu vereinfachen oder eben die Abgabenlast zu senken. Nein. Wir wollen ganz wo anders hin. Umbauten am Haus, bei denen vielleicht noch der Denkmalschutz mitreden will, sind nicht zielführend. Das Haus muss weg und durch etwas völlig anderes ersetzt werden. Und das heißt auch noch nicht, dass der Begriff utopisch hier als Synonym für „weltfremd“ oder „nicht realisierbar“ missverstanden werden sollte. Es geht lediglich darum, etwas zu schaffen, was so nicht da ist. Sich nicht an einem realen Vorbild, sondern an einer Wunschvorstellung orientiert. Diese Säule, als fester Bestandteil des Sozialismus als Idee sollte also hinreichend aufgezeigt worden sein. Natürlich gibt es Sozialisten, die an die Sache anders herangehen und vielleicht auch gerade diesen oder andere Aspekte alles andere als deutlich kommunizieren. Aber das ist tatsächlich ein Thema, das wir an anderer Stelle, wenn es um die heutigen Erscheinungsformen gehen wird, betrachten wollen.

2. Gleichheit

Auch hier sollte eigentlich keine Diskussion anstehen. Der Sozialist will Gleichheit. Vielleicht hat der eine oder andere schonmal den abwertenden Ausdruck „sozialistische Gleichmacherei“ gehört. Es soll eben, durch verschiedene Stellschrauben, eine Gesellschaft geschaffen werden, in der sich keiner über den anderen erhebt und in der die Menschen sich in jeglicher Hinsicht auf Augenhöhe begegnen. Dafür sind natürlich die folgenden Säulen sehr wichtig. Man sollte hier definitiv noch betonen, dass ideelle Gleichheit, in welcher Form auch immer, dem Sozialisten nicht ausreichend ist. Gleichheit vor dem Gesetz zum Beispiel. Es geht definitiv um materielle, oft auch um politische Gleichheit. Wir sollen einander nichts neiden, nicht durch materielles Streben, etwa nach Gütern oder Land, uns über andere erheben und diese dadurch oder gar abhängig machen. Der Mensch soll ja eben genau davon frei gemacht werden, dass andere Menschen über ihn ökonomische oder politische Macht ausüben. Nur die Gemeinschaft als Ganze, also das System, in das der Mensch lebt, soll über ihm stehen, aber eben kein König, kein Kapitalist oder sonst irgendjemand.

3. Abschaffung des Privateigentums

Dies haben wir auch bereits sehr ausführlich begründet. Will man den Menschen, vor allem in materieller Hinsicht, gleichmachen, so muss man dafür sorgen, dass auch jedermann denselben materiellen Besitzstand aufweist. Wie gesagt haben diese negativ formulierten Säulen vor allem damit zu tun, die anderen erreichbar zu machen. Um eine Gleichheit zu erreichen, haben wir an sich nur eine Möglichkeit: wir müssen allen das gesamte, für die Beurteilung des Reichtums relevante, Eigentum entwenden und dieses dann entsprechend verwalten. Etwa dadurch, dass bestimmte Güter wie das Land von allen nutzbar sind, während andere, wie etwa Lebensmittel oder andere für den Verbrauch bestimmte Dinge, je nach Bedarf und Verfügbarkeit verteilt werden. Wir müssen aber, daran führt kein Weg vorbei, für die Erreichung der materiellen Gleichheit der Menschen, ihnen die Hoheit über diejenigen Güter nehmen, die eine Ungleichheit herbeiführen und deren Verwaltung in die Hände der Gemeinschaft geben.

4. Gemeinschaft

Damit wären wir dann auch bei der vierten Säule. Wie wir zuvor hoffentlich mehrfach gesehen haben, steht die Gemeinschaft, das größere Ganze, über dem Einzelnen. Dieser hat sich dem Gemeinwohl zu unterwerfen, da sein Egoismus, sein Bestreben nach persönlicher Entfaltung, nach materiellem Besitz usw. der Freiheit der anderen im Wege steht und nur auf diese Weise jeder miteinander, als Gruppe betrachtet, eine entsprechende Freiheit überhaupt erlangen kann. Diesen Geist kann man an vielen Stellen herauslesen. Auch etwa wieder an der bekannten Losung „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ Denn: wenn jemand durchaus in der Lage ist, dreimal so viel zu leisten wie er selbst zum Leben bräuchte, so stünde ihm es in einer Gesellschaft, die individuelle Freiheit wertschätzt durchaus frei, weniger zu arbeiten, mehr Freizeit zu genießen und dafür eben auch weniger Leistung zu erbringen. Steht jedoch die Gemeinschaft im Vordergrund, so muss er die entsprechende Arbeitszeit, je nachdem wie diese für ihn festgelegt sein mag, vollumfänglich ableisten und kann sich eben nicht, aus egoistischen Gründen, dafür entscheiden, weniger zu tun. Auch am zweiten Abschnitt, „jedem nach seinen Bedürfnissen,“ sieht man deutlich, dass es nicht darum geht, den Einzelnen wertzuschätzen. Denn nach seinen Leistungen, wie hoch oder unwichtig diese auch sein mögen, wird man nicht entlohnt. Also ist auch diese Säule, die eben das Individuum in den Hintergrund und die Gemeinschaft dieser über sie stellt, hoffentlich zur Genüge als Bestandteil des Sozialismus aufgezeigt worden.

5. Auflösung der Familie

Auch hier handelt es sich wieder um eine Formulierung, die etwas, das vorhanden ist, abschaffen oder zumindest von der derzeitigen Form ausgehend unkenntlich machen will. Wir können also wieder davon ausgehen, dass dies nicht zum Selbstzweck, sondern zum Erreichen der sonstigen Ziele dient. Nun, dass dieser Punkt tatsächlich Programm ist, haben wir in der historischen Betrachtung genauer aufgezeigt, unter anderem durch die Zitate aus dem Manifest. Doch warum handelt es sich um eine Konstante in sozialistischer Denkweise? Nun, dies liegt daran, dass mit der Abschaffung des Privateigentums die Familie wichtiger materieller Grundlagen, etwa des Erbrechtes entledigt wird. Auch ist wichtig, dass eben wiederum Gleichheit gefördert werden soll und das nicht für kleine Einheiten, wie Familien sie darstellen, sondern für die gesamte Gesellschaft. Das Bilden von starken, untereinander vernetzten und miteinander agierenden Gruppen, für die gilt „Blut ist dicker als Wasser,“ stehen dem Ideal, dass alle zusammen an einem Ziel, nicht an einem gruppenegoistischen Interesse einer kleineren Gemeinschaft arbeiten sollen im Wege. Deshalb muss die Familie als zu fester Verbund zumindest geschwächt werden.

6. Abschaffung der Religion

Auch hier sollte offensichtlich sein, warum dies notwendig ist. Will ich etwas völlig Neues schaffen, muss das Alte weg. Das Alte, also die vorherrschende Gesellschaftsstruktur, stützt sich jedoch eben auch auf die Traditionen und dabei gerade auf die Religion. Diese muss nicht zwangsläufig mitsamt dem Glauben weg, wie wir bei Winstanley gesehen haben. Aber definitiv in einer Form, die den vorangegangenen Säulen im Wege steht. Gibt die Religion so etwas wie Gottesgnadentum für Herrschaftsgewalt, eine Priesterkaste oder sonst etwas vor, was sich wider die Gleichheit und das Vornanstellen der Gemeinschaft gegenüber dem Individuum stellt, so muss dies weg. Es muss nicht zwangsläufig der Glaube an das Jenseits oder höhere Mächte weichen, solange dieser eben nicht das materielle Denken, welches im Diesseits das Paradies fordert und das Leben für eben jenes in irgendeiner Weise untergräbt. Der Mensch soll, im Idealfall, eine rein materielle Existenz führen, denn diese ist es, die sich mit den anderen Säulen, vor allem dem hier angestrebten Gleichheits- und Gemeinschaftsgedanken, am besten verträgt.

7. Stillstand

Hier handelt es sich nun um die erste Säule, die wir lediglich aus den Quellen ableiten können, in diesen aber so im Großen und Ganzen nicht angepriesen wird. Entsprechend ist auch der Nachweis indirekt erfolgt. Um das Argument noch einmal aufzugreifen: Der Wille zur Macht, also das Bestreben des Einzelnen über sich selbst hinauszuwachsen, wird systematisch durch die anderen Säulen, vor allem durch die der Gemeinschaft, der Gleichheit und eben der Abschaffung des Privateigentums untergraben. Innovation, Entdeckergeist und eben alles andere, was einer Gesellschaft Fortschritt bringt, wird stark abgeschwächt, vielleicht auch völlig zum Erliegen gebracht. Auch das Streben der Gemeinschaft über die eigenen Grenzen hinaus hat ein natürliches Ende, nämlich genau dann, wenn diese keinerlei Bedrohung mehr ausgesetzt ist. Das kann, zugegebenermaßen, gegebenfalls auch erst mit dem Weltkommunismus eintreten.

Na und? Dann wird der Mensch eben auf der entsprechenden Entwicklungsstufe stehen bleiben, vielleicht nie den Weltraum erobern und neue Technologien entwickeln. Wozu auch? Weiterhin soll sich natürlich auch die Gesellschaft selbst nicht mehr entwickeln. Denn: das Paradies ist ja bereits das Paradies und muss entsprechend nicht reformiert werden. Warum sollte man es wieder verlassen wollen?

8. Sklaverei

Gerade auch diese Säule hatten wir sehr ausführlich betrachtet, weshalb wir hier nur noch einmal zusammenfassen: Der Mensch ist im Sozialismus nicht individuell, vor allem nicht in ökonomischer Hinsicht frei. Er hat weder einen Anspruch auf Lohn für seine Arbeit, noch auf Eigentum an den Früchten derselben. Auch liegt es nicht in seinem Ermessen, wann, wo, in welcher Position und wie viel er arbeitet. Das macht ihn zum Sklaven, zum Eigentum der Gesellschaft, die über ihn die Verfügungsgewalt ausübt, aber eben nicht in derselben, willkürlichen Form wie dies ein menschlicher Herr tun würde, sondern in einer, die sich im Einklang vor allem mit der zweiten und vierten Säule, jenen der Gleichheit und Gemeinschaft, äußert. Es geht, deshalb ist das Individuum lediglich Teil im System und deshalb folgt diese Säule aus den Vorangegangenen, um das große Ganze, um die Freiheit im Sinne der materiellen Gleichheit, um das Erlösen von materiellen Sorgen und nicht darum, die Entscheidungsgewalt des Einzelnen über sein Leben zu stärken.


Das war doch ein schöner Rahmen. Wir haben zunächst die Säulen als Thesen aufgestellt und behauptet, durch diese lasse sich Sozialismus im Kern als System erfassen, ohne auf die Einzelheiten eines konkreten Denkers dabei eingehen zu müssen. Daraufhin haben wir uns beispielhaft daran gemacht, diese Säulen anhand historischer Beispiele nachzuweisen und sie dann am Schluss noch einmal zusammengefasst. Naja, am Schluss ist schön und gut gesagt, denn leider haben wir noch einiges zu klären. Ein bisschen was haben wir uns noch vorgenommen, weshalb wir nun dazu übergehen werden, zu betrachten wo uns heute sozialistische Ansätze begegnen.


25.4.2022